23. April 2018 | Energy Management, Refrigeration

Abdeckung mit Lieferservices für frische Waren hauptsächlich in Ballungszentren

Viele Beobachter des E-Commerce haben vor dem Start von Amazon Fresh in Deutschland damit gerechnet, dass der stationäre Lebensmitteleinzelhandel alles daranlegt, mit eigenen Angeboten dagegen zu halten. Diese Annahme hat sich nicht bewahrheitet. Einige große Handelsketten entwickelten Digitalstrategien und wagten Online-Lieferdienst-Experimente. Die einen (Lidl, Kaufland, Real) gaben diese Bemühungen aber sehr schnell wieder auf, als diese sich nicht direkt als rentabel erwiesen, andere (z. B. Aldi) versuchten es erst gar nicht.

Gemächlicher Anlauf in Deutschland trotz hohen Wachstumspotenzials

Während der deutsche Onlinehandel vor allem bei Mode, Elektronik & IT einen hohen Anteil erreicht hat, startet der Internethandel im Lebensmitteleinzelhandel sehr zögerlich. Zwar wies der Markt laut dem HDE-Online-Monitor aus dem Jahr 2017 ein überproportionales Wachstum auf, das allerdings auf sehr niedrigem Niveau.

Infografitk Das spricht gegen Fleisch und Gemüse aus dem Netz © Oliver Wyman

© Oliver Wyman

Dass ein grundsätzliches Potenzial für den Lebensmittelonlinehandel besteht, zeigt sich im Vergleich mit anderen Ländern. In Südkorea macht der Onlineanteil am FMCG-Umsatz (Waren des täglichen Bedarfs) laut dem Kantar Worldpanel fast 20 Prozent, in Großbritannien immerhin 7,5 Prozent aus (gegenüber 1,7 Prozent in Deutschland). Besonders deutlich wird der Unterschied bei den Pro-Kopf-Ausgaben in Großbritannien; diese befinden sich mit jährlich 154 Euro gegenüber 18 Euro auf einem wesentlich höheren Niveau, wie die Online Food Retailing-Studie des Beratungsunternehmens A.T. Kearney ermittelte.

16 Prozent der Deutschen kaufen online gelegentlich auch Lebensmittel ein, nur 1,4 Prozent nutzen diese Möglichkeit allerdings für mindestens die Hälfte ihrer Lebensmitteleinkäufe, so eine Studie von Ernst & Young aus dem Frühjahr 2017. „Grundsätzlich ist die Bereitsc

Foto: Person surft am Laptop auf Onlinesupermarkt myTime.de; copyright: Harry Köster Fotografie / myTime.de © Harry Köster Fotografie / myTime.de

Der Online-Supermarkt myTime.de berechnet 4,99 Euro Versandkosten, 2,99 Euro Zuschlag für eine Expresslieferung, aber nur, wenn keine Frischewaren in der Bestellung enthalten sind. Für die Frischegarantie bei Kühl- oder Tiefkühlartikeln entfallen 4,90 Euro Extragebühren. © Harry Köster Fotografie/myTime.de

haft der Deutschen, Lebensmittel übers Internet zu bestellen, bereits heute hoch. […] Allerdings steht der Durchbruch des Lebensmitteleinkaufs im Internet noch aus“, so Joachim Spill, Leiter des Bereiches Technologie, Medien und Telekommunikation bei EY in einer Pressemitteilung. „Bislang fehlten im Lebensmittelsegment noch die wirklich überzeugenden und flächendeckend verfügbaren Online-Angebote, die auch Artikel aus dem Frischesortiment einschließen.“

Einen möglichst hürdenlosen Bestellprozess kreieren

Einer Umfrage von Bitkom Research aus dem Dezember 2016 zufolge herrscht bei deutschen Konsumenten noch Skepsis, ob bestellte Frischewaren von derselben Qualität sind wie im Laden. Auch das Warten auf die Lieferung und das Zahlen von Versandkosten seien Hauptgründe, warum Kunden weiterhin stationär einkaufen. Bei einigen Anbietern liegen der allgemeine Mindestbestellwert sowie der für eine kostenfreie Lieferung recht hoch. Bei Edekas Online-Supermarkt Bringmeister in Berlin beispielsweise kann man erst ab 40 Euro Warenkorbwert bestellen, allerdings können Getränkekisten nicht darauf angerechnet werden. Die Liefergebühren fallen erst ab einem Einkauf von 100 Euro weg.

Wenn ein Kunde seine Einkaufsliste zusammengestellt hat, ein hochpreisiges Produkt dann aber nicht verfügbar ist und er wieder unter den Mindestbestellwert rutscht, kann man verstehen, warum einige Shopper den Bestellvorgang abbrechen, anstatt einen alternativen Artikel zu suchen. Eine unübersichtliche Berechnung von Lieferkosten kann ebenfalls für ein unbefriedigendes Einkaufserlebnis sorgen.

Wichtig für die Konversionsrate sind also ein einfacher Bestell- und Checkout-Prozess und ein übersichtliches Design der Webseiten und Apps. Außerdem wissen Verbraucher knappe Lieferfenster und eine schnelle Lieferung zu schätzen. Edekas Bringmeister bietet unter der Woche eine Lieferung am selben Tag, wenn die Bestellung vor 14 Uhr eingegangen ist, und das Ganze mit einstündigen Lieferfenstern.

Einschränkend ist zu sagen, dass Bringmeister bisher nur in Berlin und München zur Verfügung steht. Überhaupt findet sich eine gute Abdeckung mit Lieferservices, die auch frische Waren bringen, bisher hauptsächlich in Ballungszentren, in denen eh eine hohe Supermarktdichte herrscht. In ländlichen Regionen muss man auf Online-Supermärkte zurückgreifen, die per Paketdienst versenden, oder das seltene Glück haben, dass es einen lokalen Anbieter gibt.

Anspruchsvoll: Verderbliche Waren verschicken

Die große Herausforderung beim Versand eines vollständigen Lebensmittelwarenkorbs ist die Lieferung von (tief-)gekühlten Waren. Anbieter haben dafür unterschiedliche Lösungen gefunden. Online-Supermärkte, die die Bestellung mit Paketdiensten verschicken, setzen meist auf passive Kühlung durch spezielle Kühlboxen mit Trockeneis oder Kühlelementen. Food.de und Rewe hingegen setzen auf einen eigenen Botendienst mit Kühlwagen.

Hier wird der Einkauf dann lediglich in Papiertüten übergeben und der Kunde muss zuhause sein, um die Waren entgegenzunehmen. Bei der Lieferung in Thermoboxen sind auch Lösungen wie Paketstationen am oder Packboxen im Haus sowie Abstellgenehmigungen möglich. Click & Collect-Angebote hingegen werden von den Verbrauchern wenig genutzt und von Einzelhändlern eher zurückgefahren als ausgebaut.

Das Potenzial liegt in der Convenience

Der Versand von frischen Lebensmitteln an Kunden ist also sicher komplizierter als der von Bekleidung oder Deko-Artikeln. Lebensmitteleinzelhändler verspielen aber auch einige Chancen. Klar, wer auf dem Nachhauseweg spontan eine Packung Milch und zwei Tomaten braucht, wird in der Stadt zum Supermarkt um die Ecke gehen, statt auf dem Smartphone zu bestellen. Da zahlt er keine Versandkosten, holt die Milch aus dem Kühlregal und sucht sich die Tomaten aus, die am frischsten aussehen.

Für die Wocheneinkäufe jedoch, die Artikel, zu denen man immer wieder greift, gibt es ein großes Potenzial im Onlinehandel, das bisher von den meisten Einzelhändlern nicht genutzt wird. „Der deutsche Online Food Retailing-Markt ist so attraktiv, dass mit einem scharfen Wettbewerb zu rechnen ist, der auch vor dem stationären Handel nicht Halt machen wird,“ warnt Dr. Mirko Warschun, Leiter des Beratungsbereichs Konsumgüterindustrie und Handel in Europa, dem Mittleren Osten und Afrika bei A.T. Kearney. Ein gutes Angebot, dass die Vorteile der Lieferung für die Konsumenten mit weiteren Features wie Einkaufslisten, Ernährungsberaterservices, Produkt- und Rezeptvorschlägen oder Preisvergleichen ergänzt, überzeugt viele Kunden und kann das Einkaufsverhalten prägen.

Autor: Julia Pott
Erstveröffentlichung auf iXtenso – Magazin für den Einzelhandel

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