26. November 2019 | Gastbeitrag, Retail Marketing, What´s new in Retail

Nicht nur das Store-Design, digitale Tools und die Mitarbeiter beeinflussen am POS das Einkaufserlebnis, sondern auch der Sound. Instore-Music hat die Aufgabe, eine Marke zu repräsentieren. Mithilfe von AI sollen in Zukunft auch äußere Einflussfaktoren wie das Wetter und der Standort den Klang auf der Verkaufsfläche mitbestimmen.

„Akustik bzw. der Klang einer Marke steht im Retail immer noch hintenan“, meint Robin Hofmann, Creative Director und Managing Partner beim Corporate Sound-Anbieter Hear Dis, und ergänzt „Bei der Erstellung eines Markenbildes geht es zu 99 Prozent um visuelle Eigenschaften. Dabei ist der Hörsinn der zweitwichtigste Sinn. Instore-Music kann den Umsatz eines Händlers positiv beeinflussen.“ Die Full-Service-Agentur für Corporate Sound aus Stuttgart übersetzt Markenwerte in „Hörbares“ und verfolgt das Ziel, ein Markenerlebnis aufzuwerten bzw. ein zur Marke passendes Erlebnis zu erschaffen. Vielen Marken fehle es im Umgang mit Musik an Objektivität, oftmals präge die subjektive Präferenz der Entscheider den Sound einer Marke, ist sich das Unternehmen sicher, das u. a. Hugo Boss, Vitra, Mykita, Gant und Mercedes-Benz zu seinen Kunden zählt. Folglich werde die Verkaufsfläche vieler Händler von beliebigen Audiokanälen oder der Musikauswahl der Entscheider beschallt. Zielgruppe, Ort und Tageszeit würden oftmals nicht berücksichtigt. Ein „objektives“ Audio-Branding hingegen beachtet die Kernwerte einer Marke und ist u. a. auf die jeweilige Zielgruppe zugeschnitten. „Dem Händler muss seine Musik nicht persönlich gefallen. Vielmehr muss das Zusammenspiel von Marke und Musik ein stimmiges Bild beim Kunden erzeugen“, so Hofmann.

Algorithmus erkennt „DNA“ der Musik

Hear Dis ist seit 2016 Teil des europaweiten Forschungsprojekts „ABC_DJ“, dessen Teilnehmer einen Algorithmus entwickelt haben, um markengerechte Musik vorherzusagen. Ziel ist es, durch innovative Software-Lösungen den Umgang mit Instore-Music zu verändern. Auf die Frage, wie denn eigentlich ihre Marke klingt, haben laut Robin Hofmann nur wenige Handelsunternehmen eine klare Antwort. Damit ein Händler ein auditiv markengerechtes Erlebnis im Store schaffen kann, bedarf er zunächst einer eindeutigen Markenidentität, die anschließend in musikalische Eigenschaften übersetzt wird. Diese Übersetzung wird durch Experten und Musikwissenschaftler durchgeführt. Neuerdings kann auch ein Algorithmus als assistierendes Tool genutzt werden, der in der Lage ist vorherzusagen, wie Musik von einer bestimmten Zielgruppe wahrgenommen wird. Um das zu erreichen, muss ein neuronales Netz Musik so verstehen können wie humane Musikexperten. Dabei analysiert es die Musikdateien detailliert und erstellt eine DNA der einzelnen Musiktitel. Im zweiten Schritt der Entwicklungsphase wurde ein Hörversuch mit rd. 10.000 Probanden und den zugehörigen demografischen Daten durchgeführt. Die Probanden ordneten einzelne Musiktitel 36 semantischen Begriffen wie „urban“ oder „kreativ“ zu, die zuvor in interdisziplinären Workshops u. a. mit Kreativagenturen und Musikwissenschaftlern entwickelt wurden. Auf diese Weise ist ein System entstanden, das musikalische Eigenschaften mit den Werten einer Marke in Verbindung setzt und so aus einer umfassenden Auswahl die relevanten, also der Markenidentität entsprechende Titel filtert. „Ziel war es, die Intuition und Erfahrung eines DJ in ein smartes System zu übertragen“, sagt Hofmann.

Roboter DJ mit Kopfhörer am Mischpult

©AdobeStock

Dem Marken-Charakter entsprechend

Auch das amerikanische Modelabel Gant setzt seinen Marken-Charakter repräsentierende Musik als strategisches Tool in seinen Stores ein. So hat Hear Dis herausgefunden, dass zum Beispiel für den an Trends und Qualität interessierten Gant-Kunden musikalische Innovationen von Bedeutung sind. Da es ihm auf Stilsicherheit ankommt, eigne sich Mainstream-Musik weniger als Musik, die beispielweise auch auf einem Jazz-Festival gespielt wird. Anstelle von vordefinierten Musiklisten lässt sich auf Basis interner Daten einer Verkaufsfläche ein „endloses Musikprogramm“ erstellen, das sowohl die Tageszeit als auch die entsprechende Zielgruppe berücksichtigt – also auch im Tagesverlauf wechselnde Altersgruppen am POS beachtet. Aufgabe des Audio-Systems ist es dabei auch, musikalische Übergänge ohne Brüche zu erzeugen, d. h. keine wahrnehmbaren Wechsel der Musikstile zu erzeugen. Zudem sollten sich auf der Verkaufsfläche ein Musikinterpret und dessen Songs über einen bestimmten Zeitraum nicht wiederholen, um Kunden, die länger im Store verweilen, durchgehend abwechslungsreich zu unterhalten. Da es sich bei Musik um ein schnelllebiges Medium handelt, ist es außerdem wichtig, Trends und Entwicklungen im Blick zu behalten. Gant hat seinen individuellen Filial-Sound deutschlandweit ausgerollt. Ging es vor wenigen Jahren noch darum, eine einheitliche Lösung für verschiedene Standorte zu finden, die zentral gesteuert wird, steht der Handel heute vor der Herausforderung, Echtzeitdaten in die Musikauswahl einfließen zu lassen. Aktuell hapert es noch an den API zu den Datenlieferanten. Ziel ist es, externe Daten wie das Wetter, die lokalen Begebenheiten und das Umfeld eines Standortes einzubeziehen, zum Beispiel ob sich der Store in einer Fußgängerzone oder in einem Shopping-Center befindet. Darüber hinaus wünscht sich Hear Dis, auch interne Daten noch individueller verarbeiten zu können. „Das System muss so klug werden, dass es zum Beispiel einen chinesischen Shopping-Touristen vom Einheimischen unterscheiden kann“, so das Resümee von Robin Hofmann.

Autor: Katharina Sieweke
Erstveröffentlichung: stores & shops 3/2019, www.stores-shops.de

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