7. April 2020 | Interview, Retail Technology, What´s new in Retail

“Es bediente Sie: ein Bot”

Für die einen gruselig, für die anderen längst fester Bestandteil des Alltags: Chatbots und Sprachassistenten. Sie beantworten selbst die tausendste Frage nach den Öffnungszeiten des nächsten Supermarkts geduldig. Und das inzwischen sogar so gut, dass der unbekümmerte Nutzer nicht erkennt, ob er mit einer künstlichen Intelligenz oder mit einem echten Menschen kommuniziert.

Ein lächelnder junger Mann im Jeanshemd

© Space and Lemon GmbH

Holger Budde von Space and Lemon entwickelt und trainiert solche Chatbots für Unternehmen. Sollten Händler sich jetzt um das Thema kümmern und wenn ja, was bedeutet das genau? Wir haben ihn dazu befragt.

Herr Budde, warum sind Chatbots im Kundenservice nützlich?

Chatbots und intelligente Sprachassistenten helfen dabei, repetitive, eintönige Aufgaben zu automatisieren, zum Beispiel Fragen nach allgemeinen Informationen: „Wie lange hat der Laden auf? Wie komme ich dort hin? Haben die Marke X im Sortiment?“ Die Beantwortung repetitiver Anfragen zu automatisieren, bietet sich natürlich auch deshalb schon an, weil wir sehr viele Daten bekommen, um die Intelligenz zu füttern.

Diese Anfragen sind zwar repetitiv, die Ausdrucksmuster aber sehr verschieden. Wie kann denn eine Maschine erkennen, was der Nutzer meint, egal wie er es formuliert?

Technisch ist das natürlich höchst komplex. Es gibt aber NLP-Plattformen (Natural Language Processing), die die Nutzeranfragen analysieren und die Absichten erkennen – beispielsweise Dialogflow von Google, LUIS von Microsoft oder Rasa Core (Open Source). Damit haben diese Unternehmen für unsere Zwecke bereits intensive Vorarbeit geleistet. Für jeden Anwendungsfall bedarf es dann aber noch eines spezifischen Trainings.

Und das Training von solchen Bots für Unternehmen ist Ihre Aufgabe?

Wir setzen schon bei der Idee an: Welche Anwendungsfälle gibt es für unseren Kunden, welche Erwartungen haben Nutzer an die Kommunikation mit dem Unternehmen und für welche Konversationen eignet sich dann ein Chatbot? Für die Implementierung auf den Plattformen nutzen wir dann oben genannte NLP-Tools. Und dann kommt das Training: Erkennt und beantwortet der Bot die Nutzeranfragen richtig und wo muss man nachjustieren?

Wie läuft dann so eine Trainingsphase konkret ab?

Ein Mensch muss der Maschine sagen, ob sie eine Anfrage richtig verstanden und beantwortet hat. Zum Beispiel ist die Frage „Wann kommt meine Rechnung?“ eine andere als „Warum ist meine Rechnung in diesem Monat so hoch? Hier sind drei Posten, die ich nicht verstehe und kündigen möchte“. Es gibt also auch Anfragen, in denen mehrere Intentionen – sogenannte Intents – enthalten sind. Das richtig zuzuordnen, ist eine große Herausforderung.

Damit die Plattform korrekt arbeiten und unterscheiden kann, braucht man pro Intent mindestens 30, eher circa 50 verschiedene Äußerungen. Diese überlegen wir uns mithilfe unseres gesunden Menschenverstandes oder wir bedienen uns fertiger Anfrage-Sets, die wir auf die Plattform laden. Aber auch während der Nutzung lernt die Maschine dazu. Denn nicht immer können wir uns sämtliche Formulierungen für einen Intent vorher überlegen. Es braucht also immer noch einen Menschen, der als Korrektiv eingreift. Wir sind noch weit entfernt von einer Super-KI.

Smartphone mit Symbol für Spracherkennung

© PantherMedia/AndreyPopov

Eine noch größere Herausforderung, so stelle ich mir das vor, ist es, einen Sprachassistenten zu trainieren.

In schriftlicher Kommunikation wird ganz anders formuliert als in mündlicher. Konversation ist flexibler, salopper; außerdem kommen Dialekte hinzu. Sprache ist das intuitivste Kommunikationsmittel. Wir benutzen sie jeden Tag und müssen kaum darüber nachdenken.

Nicht nur deswegen wird sich im Alltag das Gesprochene in vielen Bereichen durchsetzen beziehungsweise hat sich als Interaktionsform mit digitalen Assistenten schon etabliert. Zum Beispiel im Auto oder in der Küche, wenn ich die Hände nicht frei habe, sind gesprochene Befehle sehr praktisch. Bei vertraulicheren Angelegenheiten wie persönlichen Daten oder Zahlungsmodalitäten neigen viele Nutzer eher zum Eintippen.

Zunächst gab es einen großen Hype um Chatbots. Der ist jetzt etwas abgeklungen, das Thema Voice-Applikation ist jetzt gerade sehr stark im Kommen. Aber letztendlich sind solche Assistenten multimodal aufgestellt: Ob ich in meinen Assistenten hineinspreche oder hineintippe, ist mir als Nutzer egal – Hauptsache, mein Anliegen wird bearbeitet.

Können künstliche Intelligenzen in absehbarer Zeit so gut agieren wie Menschen?

Ich denke, in ganz spezifischen Fällen kann ein Chatbot einen Menschen ersetzen. Das hat zum Beispiel Google Duplex bewiesen. Die KI kann telefonisch selbst unter schwierigen Bedingungen Termine beim Friseur vereinbaren oder Tische im Restaurant reservieren, ohne sich als künstliche Intelligenz erkennen zu geben.

Wenn Unternehmen also einen Chatbot einsetzen, sollten sie transparent machen, ob der Nutzer mit einem Bot oder einem Menschen kommuniziert?

Ja, das sollten sie. Zum einen ist es ehrlich und zum anderen eine gute Strategie, weil die Technik noch nicht so weit ist, dass alles hundertprozentig reibungslos funktioniert. Nutzer interessiert nicht so sehr, was der Bot kann, sondern dass sie ihr Anliegen in ihren eigenen Worten platzieren können. Anwender sollten hier abgeholt werden, indem man Beispiele und Hilfestellungen für die Kommunikation mit einer künstlichen Intelligenz gibt. Sonst läuft man Gefahr, die Erwartungen der Kunden zu enttäuschen.

Ein smarter Sprachassistent, kleines weißes Gerät mit blauem Mikrofonsymbol

© PantherMedia/luca de polo

Sind Sie der Meinung, Unternehmen und Händler sollten sich mit dem Thema beschäftigen?

Chatbots und virtuelle Assistenten, insbesondere der Google Assistant und Alexa von Amazon, werden von vielen Nutzern angenommen, die Nutzungsrate steigt. Nutzer erwarten, dass sich Serviceanfragen automatisiert erledigen lassen, ohne in ein Geschäft fahren oder in einer telefonischen Warteschleife ausharren zu müssen.

Unternehmen setzen Bots und Assistenten bereits erfolgreich ein. Das bedeutet auch, dass sich Unternehmen jetzt damit auseinandersetzen müssen, wie sie in diesen Interfaces präsent sein können, damit sie für Nutzer relevant bleiben.

Dazu braucht es nicht immer große, jahrelange aufgebaute Tech-Initiativen. Mit kleinen, relevanten Use Cases, die dem Anwender helfen, Dinge schneller und bequemer zu erledigen, kann man schon viel erreichen. Beispielsweise empfehle ich vor allem klassischen Einzelhändlern, ihren Google My Business-Account mit aktuellen Informationen wie Öffnungszeiten und Betriebsferien gut zu pflegen.

Interview: Elena Blume
Erstveröffentlichung auf iXtenso – Magazin für den Einzelhandel

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