19. Juni 2020 | Retail Marketing, Shopping Today

Von China aus in die ganze Welt

von Sonja Koller (exklusiv für EuroShop.mag)

Eine junge Frau probiert verschiedene Paar Schuhe an; soweit eine bekannte und alltägliche Situation. Außergewöhnlich daran ist jedoch, dass Zehntausende von Zuschauern sie dabei live begleiten und mit ihr in direkten Kontakt treten. „Könntest du uns die Sohle einmal genauer zeigen?“, bittet eine Zuschauerin in einem Kommentar und sogleich wird auf ihren Wunsch eingegangen. Wer sich für einen der vorgeführten Artikel interessiert, kann diesen durch einen einfachen Klick in seinen Warenkorb befördern.

In China wurden in den vergangenen Jahren durch Livestream-Shopping Umsätze von mehreren Milliarden Euro jährlich erwirtschaftet, knapp 10 Prozent der gesamten Umsätze im E-Commerce. Der Ausbruch der Corona-Pandemie und die damit verbundenen Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen haben diesem Trend noch mehr Aufschwung gegeben. Nach und nach springen nun auch westliche Länder auf den unaufhaltsam rasenden Zug auf. Aber was genau macht die Faszination Livestream-Shopping eigentlich aus?

Der Vorläufer: Teleshopping

Ganz neu sind Idee und Faszination nicht. Bereits seit den 70er Jahren gibt es Tele- beziehungsweise Homeshopping für das Live-Shoppingerlebnis vom Sofa aus. Ein Kanal, der sich immer noch wachsender Beliebtheit erfreut. In Deutschland beispielsweise haben sich die Teleshopping-Umsätze laut dem Verband Privater Medien (VAUNET) in den letzten 15 Jahren verdoppelt, und zwar auf 2,1 Milliarden Euro im Jahr 2019.

Eine junge Frau bereitet vor der Kamera einen Smoothie zu

© PantherMedia / HayDmitriy

Teleshopping lebt von Impulskäufen der Zuschauer, die mit Rabatten, einem limitierten Sortiment, Exklusivität und zeitlich begrenzten Angeboten geködert werden.

Live-Shopping in Zeiten von Smartphone & Influencern

Im Leben von jüngeren Generationen hingegen spielen Shoppingkanäle im Fernsehen kaum eine Rolle. Ihr Leben findet zu einem großen Teil über digitale und größtenteils mobile Endgeräte statt. Netflix streamt die beliebtesten Serien, Amazon liefert die neuesten Trends und Online-Seminare vermitteln aktuelles Wissen. In den sozialen Medien präsentieren Influencer in Fotos und kurzen Videos ihr Leben und wie nebenbei auch ihre „Lieblingsprodukte“. So genanntes Influencer-Marketing erfreut sich weltweit großer Beliebtheit. Prognosen von Goldmedia zufolge wird der Umsatz 2020 in der DACH-Region durch Influencer-Marketing knapp eine Milliarde Euro betragen. Damit hätten sich die Umsätze innerhalb der letzten drei Jahre beinahe verdoppelt.

Worin aber besteht das Erfolgsrezept von Influencer-Marketing? Eine entscheidende Rolle hierbei spielt die, zumindest als solche empfundene, Nahbarkeit. Influencer sind, anders als Figuren in Werbespots, „reale“ Personen, die Fläche zur Identifikation bieten und sich ihren Followern wie FreundInnen präsentieren. Wenn ein Influencer ein Produkt empfiehlt, fühlt es sich für ihre Follower an, als würde eine Freundin begeistert von ihrer neuesten Errungenschaft berichten. Influencern wird darum eine ganz andere Form des Vertrauens entgegengebracht als Marketingabteilungen von Unternehmen.

Shoppertainment, Retailtainment & Entertainmerce

Ein weiterer wichtiger Aspekt des Erfolgs von Influencer-Marketing ist selbstverständlich der Unterhaltungsfaktor. Wenn eine bildhübsche junge Frau im Bikini am Pool ihres Hauses sitzt und begeistert von einer neuen Haarpflegeserie erzählt und diese auch gleich anwendet, erinnert das an kurzweiliges Reality-TV.

Bei einem Livestream-Event werden Nahbarkeit und Unterhaltung noch einmal dadurch verstärkt, dass Moderator beziehungsweise Influencer mit den Zuschauern in Echtzeit in unmittelbaren Kontakt treten. Diese können im Chat direkt Fragen stellen, kommentieren oder Wünsche äußern und werden teilweise mit Namen angesprochen. Kreiert wird ein Gefühl von Gemeinschaft, so als wäre man als Zuschauer hautnah dabei. Gekauft wird unmittelbar. Die vorgeführten Produkte können direkt angeklickt werden und landen sofort im eigenen Warenkorb.

Alibaba und die drei Milliarden Dollar

Drei junge Frauen präsentieren Produkte von L'Oréal auf der Kamera

© Alibaba Group

Vorreiter im Livestream-Shopping in China sind die Betreiber von E-Commerce-Plattformen JD und Alibaba. Die Alibaba Group besitzt eine Reihe an E-Commerce-Plattformen, unter anderem den Taobao Marketplace. Über das Livestream-Shopping von Taobao werden Produkte der verschiedensten Warengruppen verkauft, häufig handelt es sich um Markenprodukte aus den USA oder Europa. Allein an einem einzigen Tag im vergangenen Jahr, dem so genannten Singles Day am 11. November, erreichte der Umsatz von Taobao umgerechnet knapp drei Milliarden US-Dollar durch Livestream-Events – ein vorläufiger Rekord.

Am 1. Juni startete Alibaba ein ganzes Livestream-Shopping-Festival, das größte seit dem Ausbruch von COVID-19. Drei Wochen dauert die „6.18 Campaign“. Rund 100.000 Marken waren bei diesem Festival vertreten, darunter auch 180 Luxuslabels wie Cartier, Chanel, Burberry oder Montblanc. Auch neue Technologien wie beispielsweise Augmented Reality kommen zum Einsatz.

Ab in den Westen

Auch in den USA und Europa nehmen Anbieter von Livestream-Shopping zu. Mit Aliexpress versucht Alibaba auf internationalem Parkett Fuß zu fassen. Auch Amazon (Amazon Live) und Facebook versuchen sich seit dem vergangenen Jahr in einigen Ländern an Livestream-Angeboten.

Einen Aufschwung erlebte das Livestream-Shopping nun im Zuge der Corona-Krise auch in Europa und Amerika. Einzelne Einzelhändler nutzten die Chance, ihre Waren per Stream ihrem Publikum anzubieten. Im Mai startete des deutsche Modeunternehmen Orsay sein erstes Livestream-Event. Im selben Monat ging auch die Modemarke Tommy Hilfiger mit einem Event an den Start. Von den Zugriffs- und Umsatzzahlen in China ist man hier jedoch noch weit entfernt.

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