Corona und Retail Design – Wie geht es weiter?
6. August 2020 | Shop Fitting, Store Design & Visual Merchandising, Visions of Retail

Von Nomadic Retail, Place Marketing, kontaktlosem Bezahlen und digitalen Regalsystemen

Ilona Marx (exklusiv für EuroShop.mag)

Die Corona-Pandemie hat die Retail-Design-Branche stark getroffen. Wie ist die Situation in den dazugehörigen Agenturen und Unternehmen? Welche gestalterischen Lösungen zur Umsetzung von Hygienekonzepten wurden von Kundenseite bereits angefragt? Wie schätzen die Inhaber der Ladenbau-Agenturen die Lage des Einzelhandels ein? Und wo sehen sie sich in der Zukunft? Diesen Fragen stellten sich Christoph Stelzer, Mitinhaber der Stuttgarter Retail-Design-Agentur Dfrost, Karl Schwitzke, Mitbegründer der Schwitzke Group, Mark Hülsemann, Key Account Manager Umdasch The Store Makers, und Christian Vetterer, CEO von Visplay aus Weil am Rhein.

Finden Sie nachfolgend die persönlichen Einschätzungen der Retail-Design-Experten, die drei Monate nach Ausbruch der Pandemie neben wirtschaftlichen Aspekten auch gesellschaftliche Entwicklungen in ihre Überlegungen mit einbeziehen und weit über die Zeit nach Corona hinausdenken. Eine Bestandsaufnahme.

Eine neue Form des “Nomadic Retail”

Christoph Stelzer, Geschäftsführer und Mitinhaber Dfrost, Stuttgart

„Gestalterische Lösungen zum Thema Corona wurden bei uns noch nicht angefragt. Wir werden eher als Kreativagentur wahrgenommen, und Plexiglas-Aufsteller oder Hygiene-Inseln werden oft zugekauft und nicht speziell angefertigt. Ich denke, Marken sollten sich darauf einrichten, ihre Hygienemaßnahmen stärker in die DNA einzubinden.

Diese gehören, wie auch die Kommunikation, zu einer schlüssigen Markenidentität und sollten vom Kunden auch als einheitlich wahrgenommen werden. Bis jetzt sehe ich eher Baustellencharakter, noch wird nicht viel in die Hygienemaßnahmen investiert. Wenn man bei unterschiedlichen Lieferanten bestellt, ergibt sich kein durchgängiges Erscheinungsbild.

Generell ist die Flanierbereitschaft beim Kunden zurückgegangen. Man kauft zielorientierter und hält sich nicht allzu lange auf. Daher muss die Customer Journey neu definiert werden. An einem zentralen Kundenlauf benötigen wir Highlight-Points, die in die Abteilungen verweisen – eine klassische Merchandising-Aufgabe also, die aber jetzt im Hauptraum gespielt werden muss.

Display Box bei Luminox Pop-up-Store in Basel

Für den Messeauftritt der Uhren-Brand Luminox entwickelte Dfrost ein modulares Boxensystem. Highlight des Standes war die integrierte Lift & Learn-Funktion, welche den Betrachter digital mit der Geschichte und Informationen des Produktes versorgt. © Dfrost

Ein Zukunftsthema, das gerade alle bewegt, ist die digitale Vermittlung von Markenexperience. Wir arbeiten aktuell daran, eine virtuelle Verkaufsmesse zu entwickeln. Wir denken an einen digitalisierten Markenraum, der mit Elementen aus Virtual- und Augmented-Reality angereichert wird. Der virtuelle Raum muss dabei die DNA der Marke widerspiegeln, wie ein Store oder ein Messestand auch. Der Kunde kann dort außerdem Mehrwerte geboten bekommen, die physisch gar nicht so einfach vermittelbar sind: einen weiteren Layer etwa wie eine Explosionszeichnung, der auch technische Details zeigt. So wird die Produkterfahrung unterstützt. Mir schwebt dazu eine Art Sales Assistant vor, der hilft, den Kunden den fehlenden multisensorischen Eindruck zu vermitteln.

Wie wird Corona den Einzelhandel verändern? Nicht so sehr, wie ich es mir wünsche. Ich glaube, die Solidarität und der Trend zum „buy local“ klingen schon wieder ab. Nachhaltigkeit wird zwar weiterhin ein Thema bleiben, aber in den nächsten Monaten von einer stärkeren Preissensibilität beeinflusst sein. Insgesamt könnte die Preisthematik im Herbst eine entscheidende Rolle spielen, wenn die Konsumenten ihr Geld bewusster einsetzen müssen. Für die weitere Zukunft glaube ich, dass es in den Städten wieder mehr Raum für Brüche geben wird – das ist eine große Chance. Ich sehe temporäre, klare und spitze und teilweise auch kulturelle und hybride Formate auf uns zukommen, einen gesünderen Mix. Eine neue Form des „Nomadic Retail“ sozusagen mit ungewöhnlichen Pop-Up-Konzepten und viel Platz für Kuration und Nischen.

Place Marketing und die vier Megatrends

Mark Hülsemann, Key Account Manager bei Umdasch The Store Makers

„Nachhaltigkeit spielt eine große Rolle. Die Anforderungen von Kundenseite werden sich aus unserer Sicht in verschiedenen Bereichen anpassen. Wir werden zukünftig das Thema Qualität und Herkunft, also Beschaffungsquellen, neu überdenken müssen. Made in Europe wird eine neue Bedeutung zukommen und es wird vermehrt unabhängige Prüfungen und Zertifizierungen dazu geben müssen. Wir müssen dahingehend das Lieferantenportfolio, aber auch Produktions-Footprints und Lieferketten überdenken. Es braucht vermehrt Partner mit Solidarität und Zuverlässigkeit – in guten und schlechten Zeiten.

Nur Shoppen um des Shoppens willen ist längst passé. Customized Retail wird noch wichtiger werden. Dabei geht es um hybride Konzepte, die Erlebnisse, Inszenierung und Entertainment versprechen – sogenanntes Place Marketing. Neue Storekonzepte sind zukünftig also mehr als nur ein neuer Verkaufsraum. Man veranstaltet kleine Events wie Verkostungen oder richtet Reparaturwerkstätten ein. Schulungen werden immer häufiger ein gelebtes Mittel zur Frequenzsteigerung.

Hygienelösungen von Umdasch The Store Makers

Hygienelösungen werden den Einzelhandel sicherlich noch länger begleiten. © Umdasch The Store Makers

Im Store selbst werden wir die Raumordnung neu überdenken müssen: Hygienelösungen beim Betreten und Verlassen der Stores sind ebenso wichtig wie die Service-Bereiche auf Self Service umzustellen. Einbindung von Click and Collect im Store ist ein bekanntes Thema, aber auch digitale Zutritts- und Eingangslösungen, die Frequenzanalyse mit Gesundheitszustandskontrolle koppeln, sind wichtig. Touch-Applikationen sollten überdacht und gegebenenfalls durch Gestensteuerung ersetzt werden. Ich empfehle auch, kontaktloses Bezahlen und Self-Checkout-Lösungen weiterhin zu forcieren.

Die Corona-Krise wird den Ladenbau definitiv verändern. Kunden werden sich anders verhalten, vor allem in den Bereichen des täglichen Bedarfs, im Bereich Haus & Garten sowie der Versorgungsgastronomie. Dies sind die Gewinner der Corona-Krise. Wir haben aus dieser aktuellen Situation Megatrends abgeleitet, auf die wir langfristig setzen werden. Wir erleben ja gerade eine verstärkte Konnektivität und Individualisierung. Globalisierung, Gesundheit und Sicherheit sind die weiteren Schlagworte. Die Change-Motoren werden die Neoökologie, New Work und die Silver Society sein. Die vier ambivalenten Megatrends, die als Sprungbretter für Innovation gelten können, werden in unseren Augen die generelle Wissenskultur, Urbanisierung, Gender-Shift und die sich verändernde Mobilität sein.“

Für und wider kontaktloses Bezahlen

Karl Schwitzke, Mitinhaber der Schwitzke Group, Düsseldorf

„Unter Corona werden sich viele Entwicklungen beschleunigen. Und neben den Firmen, die jetzt zu kämpfen haben, gibt es auch Gewinner: Manufactum geht es beispielsweise großartig, ebenso wie Fahrradläden, Gartencentern und Baumärkten. Breuninger ist schnell wieder auf seine Umsätze gekommen, und Engelhorn hat erstaunliche Online-Umsätze gemacht, weit über Mannheim hinaus.

Ich glaube nicht, dass der Konsum sich grundlegend verändert hat, und nach dem Lockdown hatten die Leute bei uns in Düsseldorf auch direkt wieder Lust, in die Stadt zu gehen. Der Trend zu weniger Ware und mehr Platz im Laden ist nicht nur durch Corona bedingt. Einkaufen muss zukünftig leichter gemacht werde. Keiner hat unbedingt Spaß daran, sich mit der Maske an der Kassenschlange anzustellen. Dezentral zu bezahlen halte ich generell für einen guten Ansatz, dazu muss aber jedem Verkäufer die Hoheit zugesprochen werden, auch kassieren zu können.

Wenn ich ins benachbarte Ausland schaue, stelle ich auch fest, dass unsere Kunden in Paris schneller wieder Tritt fassen. Firmen, die auf über hundert Jahre Tradition zurückblicken, lassen sich von einem zweimonatigen Lockdown nicht aus der Ruhe bringen. Dort werden die Ladenbau-Projekte wie geplant realisiert und die Lage hat sich relativ schnell normalisiert.

Lancôme Flagship-Store auf der Champs Elysée in Paris.

Der Lancôme Flagship-Store auf der Champs Elysée in Paris setzt auf ein größtmögliches Kundenerlebnis. © Schwitzke Group

Für die Zukunft müssen sich die Einzelhändler Services und Dienstleistungen ausdenken, die man nicht so schnell ersetzen kann und die den Store zum Treffpunkt werden lassen. Handelsimmobilien dürften ein schwieriges Thema werden –wir werden in allen Bereichen deutlich weniger Flächen brauchen, besonders in den ersten oder noch höheren Etagen. Meine Message lautet: Die Läden müssen besser werden! Logistik, Einkauf und Design gehen deutlich in Richtung Nachhaltigkeit.“

Das digitale Regalsystem

Christian Vetterer, CEO Visplay

Omnio Eintrittskonrollsystem von Visplay

Digitale Einlasskontrollsysteme werden zur Normalität. © Visplay

„Aktuell gibt es noch keine konkreten Aufträge für uns – die Retailer vergleichen die unterschiedlichen Möglichkeiten zur Umsetzung von Hygienekonzepten noch. Wir haben bereits zum Start der Storeöffnungen nach dem Lockdown mit einem Digitalpartner ein Zutrittskontrollmöbel entwickelt. Ein digitales Regalsystem, das die Kundenanzahl ohne Personaleinsatz steuert. Es lässt sich einfach via App bedienen und täglich neuen Bedingungen wie maximalen Personenzahlen anpassen. Nach Ende der Covid-19-Beschränkungen könnte das Möbel für die Warenpräsentation genutzt werden, der integrierte Monitor für Werbung und die Kameras für analytische Zwecke.

Bereits vor der Covid-19-Pandemie war der Ladenbau durch den Onlinehandel stark beeinflusst. Die Pandemie hat diese Entwicklung durch den Lockdown noch einmal verstärkt. Investitionen im stationären Handel werden mit Bedacht getätigt und auf Nachhaltigkeit wird immer mehr Wert gelegt.

In jeder Krise steckt auch eine Chance. Wir rechnen damit, dass sich die Leerstände in den Innenstädten erhöhen werden. Vermieter werden neuen Mietern attraktivere Angebote machen müssen, um die Flächen attraktiv bespielt zu bekommen. Kürzere Mietzyklen, flexible Pop-up-Stores, neue Anbieter und Online-Pure-Player könnten die Zukunft des stationären Handels sein.“

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