29. Mai 2020 | Interview, Retail Technology, Shopping Today

Interview mit Ralph Siegfried, Business Development Manager bei Axis Communications GmbH

von Sonja Koller (EuroShop.mag)

So unterschiedlich Stores im Bezug auf Größe, Lage und Sortiment sind, so individuell sollte auch ihr Sicherheitskonzept sein. Aber welche Möglichkeiten haben Einzelhändler und worauf müssen sie besonders achten? Ein Interview mit Ralph Siegfried über die Anforderungen an eine effektive Diebstahlprävention, über technische Möglichkeiten und die wachsende Bedeutung von künstlicher Intelligenz.

Herr Siegfried, wie hoch sind Verluste und Schäden, die dem Einzelhandel durch Einbruch und Diebstahl entstehen?

Mann im Anzug; copyright: Axis

©Axis

Ralph Siegfried: Laut der EHI-Studie „Inventurdifferenzen 2019“ beliefen sich die Schäden und Verluste aufgrund von Inventurdifferenzen im Jahr 2018 im gesamten deutschen Einzelhandel auf 4,3 Milliarden Euro. Kundendiebstähle verursachten dabei nach Einschätzung der Studie einen Schaden in Höhe von 2,38 Milliarden Euro. Dagegen wird Diebstahl durch eigene Mitarbeiter auf 1,01 Milliarden Euro geschätzt und Lieferanten und Servicekräfte bereicherten sich laut der Studie mit Waren im Wert von rund 350 Millionen.

Um noch größeren Schäden durch Diebstahl von Waren vorzubeugen, investieren Unternehmen jährlich rund 1,45 Milliarden Euro in Präventions- und Sicherungsmaßnahmen. Mitarbeiterschulungen stehen hierbei an erster Stelle. Vier von fünf Händlern setzen außerdem auch auf Videosicherheitstechnik, die in den letzten Jahren einige technische Innovationen verzeichnen konnte.

Was macht ein gutes Sicherheitskonzept im stationären Einzelhandel aus?

Kameras haben in den Bereichen Diebstahl und Vandalismus grundsätzlich eine abschreckende Wirkung – der Hauptvorteil ihres Einsatzes. Taten und Vorfälle können durch das bloße Vorhandensein einer Kamera im Keim erstickt werden. Die Übertragung von Live-Bildern zu einem zuständigen Wachdienst bringt in der Regel nur dann weitere, deutliche Vorteile, wenn auch eine spontane Intervention möglich ist. Muss der Fahrer eines Wachdienstes beispielsweise zuerst zum Ort des Geschehens gelangen, dauert es oft schlicht zu lange. Der Einsatz von IP-Lautsprechern kann hier eine effektive Alternative zum Eingriff vor Ort darstellen. Eine direkte Ansprache über Lautsprecher führt zu einer Abbruchquote von durchschnittlich 90 Prozent. Dies zeigen Erfahrungswerte bestehender Lösungen, in denen die intelligente Kopplung aus Video und Audio in Bereichen wie Vandalismus, Einbruch und Diebstahl schon länger eingesetzt werden.

Gibt es Bereiche in Stores, die besonders schwer zu überwachen sind?

Jedes Segment im Einzelhandel hat spezielle „Diebstahlrenner“. Diese gilt es, gut im Blick zu behalten. Die Analyseanwendungen von Axis und seinen Partnern ermöglichen hierbei eine proaktive Beobachtung: Das System erfasst zum Beispiel solche Personen, die sich übermäßig lange in einem Bereich aufhalten, und sendet automatisch eine Meldung an den Sicherheitsdienst oder spielt über Netzwerk-Audio eine Lautsprecherdurchsage ab, die einen in Kürze eintreffenden Service-Mitarbeiter ankündigt.

Aber auch Kassen, Ein- und Ausgänge sowie das Lager sind kritische Zonen im Einzelhandel, an denen Warenschwund auftreten kann.

Großes, mehrstöckiges Kaufhaus in der Innenstadt oder kleines Feinkostgeschäft auf dem Dorf – welche Rolle spielen Größe und Lage von Stores bei der Wahl des richtigen Sicherheitskonzepts?

Die Größe und Lage eines Geschäfts sind für das Sicherheitskonzept maßgeblich, denn eine „One-Size-Fits-All“-Lösung existiert nicht.

Die Größe des Ladens und die gewünschte Abdeckung bestimmt die Anzahl der zu installierenden Videokameras. Ebenso sind zusätzliche Zonen außerhalb der Verkaufsfläche einzubeziehen, die durch das Sicherheitskonzept abgedeckt werden müssen. Hierzu zählen Lager, Kassenräume oder Anlieferbereiche. Auch hier muss individuell bestimmt werden, ob Zutrittskontrollen, Aufenthaltsalarme oder spezielle Analysetools zur Schadensverhütung sinnvoll sind.

Die Lage des Stores ist insbesondere von Bedeutung, wenn es um die Verfügbarkeit von Sicherheits- oder Wachpersonal geht. Ist die physische Entfernung zwischen dem Standort des Ladens und des möglichen zuständigen Wachteams zu hoch, können automatisierte Systeme oder auch IP-Lautsprecher zur direkten Ansprache aus der Ferne verwendet werden.

Braucht ein modernes Sicherheitskonzept überhaupt noch den Faktor „Mensch“, beispielsweise in Form von Sicherheitsmitarbeiter vor Ort, oder läuft mittlerweile alles vollautomatisiert ab?

Sicherheitsmitarbeiter vor Ort sind je nach Lage und Kundenfrequenz für Shops weiterhin wichtig, wenn sie spontan und schnell auf Live-Situationen reagieren und so beispielsweise Diebstähle oder Vandalismus verhindern können.

Aber auch darüber hinaus benötigt man grundsätzlich immer mindestens eine Person, die die Auswertung des Videomaterials übernimmt, unabhängig davon, ob dies live oder nachträglich geschieht. Zudem ist gut geschultes Personal, das die Wartung, Instandhaltung und die Updates des Systems übernimmt, ebenfalls extrem wichtig für ein funktionierendes Sicherheitskonzept. Ein modernes System muss kontinuierlich auf dem aktuellen Stand gehalten werden, um den entsprechenden Cyberrisiken zu begegnen.

Was müssen Händler bei der Überwachung ihres Stores in Hinblick auf die DSGVO beachten?

Um bei der Verwendung von Videokameras im stationären Handel auf der sicheren Seite zu sein, bietet sich die Verwendung intelligenter Softwareanwendungen an. Ein Beispiel wäre  eine Analysesoftware, die Personen bei Videoaufnahmen in Echtzeit und bei voller Bildrate direkt in der Kamera maskiert. Dadurch vermeidet man teilgeschwärzte oder verzerrte Aufnahmen. Die Analysesoftware wendet standardmäßig eine dynamische Maskierung auf zuvor definierte Bereiche des Sichtfeldes der Kamera an. Bestimmte Aktivitäten wie das Platzieren von Objekten auf dem Kassenband oder die Schlange vor der Kasse, können so untersucht werden, ohne die jeweiligen personenbezogenen Daten zu erfassen.

Ein Blick in die Zukunft: Wie wird sich die Sicherheitstechnik in den kommenden 10 Jahren entwickeln?

AI-basierte Software-Analyse-Lösungen werden die Nutzung von Video-Sicherheitssystemen sowohl für die Prävention als auch bei der Aufarbeitung von Vorfällen in Zukunft wesentlich effizienter machen. Während solche Anwendungen heute noch spezielle Hardware benötigen oder als reine Cloud-Anwendungen verfügbar sind, können wir mittelfristig deutlich mehr Flexibilität erwarten.

Interview: Sonja Koller

Erstveröffentlichung auf iXtenso – Magazin für den Einzelhandel

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