28. April 2021 | Interview, Retail Technology, Visions of Retail

Wie sich die Branche nachhaltig und digital aufstellen kann

von Katja Laska (exklusiv für EuroShop.mag)

Passen Digitalisierung und Nachhaltigkeit zusammen? Für Xenia Giese gehen sie sogar Hand in Hand. Sie ist Industry Executive Retail & Consumer Goods bei Microsoft und Co-Autorin des Microsoft-/EHI-Whitepapers „Sustainable Smart Stores 2021 – Digitale Nachhaltigkeitslösungen für den Handel“.

Im exklusiven Interview erzählt sie, warum die beiden Dinge sich gut vereinen lassen, wie intelligente Filialen Nachhaltigkeit fördern und wieso das Thema gerade in dieser Branche gut aufgehoben ist.

Xenia Giese, Industrie Executive Retail und Consumer Goods bei Microsoft //©Microsoft

Frau Giese, welche Entwicklungen sind für die Handelsbranche heutzutage von Bedeutung?

Xenia Giese: Die Dynamik der Digitalisierung im deutschen Handel wurde durch Corona noch einmal erhöht und rückt digitale Lösungen ungebremst in den Fokus. Schon jetzt setzt der Handel in intelligenten Filialen oder ‚Smart Stores‘ verstärkt auf digitale Lösungen, deren Betrieb basierend auf Sensorik, Internet der Dinge-Technologie und KI natürlich energieintensiver ist als der Betrieb einer nicht oder kaum digitalisierten Filiale. Gefragt sind heute nachhaltige intelligente Filialen oder auch ‚Sustainable Smart Stores‘. Dabei handelt es sich um Filialen, die einerseits mit digitalen Lösungen ausgerüstet sind, um operative Prozesse effizienter zu gestalten und Kunden mehr Services anzubieten, und die gleichzeitig einen Fokus auf Nachhaltigkeit legen.

Wie weit ist der Handel auf dem Weg zum optimalen ‚Sustainable Smart Store‘?

Der Weg zum ‚Sustainable Smart Store‘, der sich innovative Technologien wie KI und IoT zunutze macht, um sein Nachhaltigkeitsprofil zu optimieren, ist für viele Handelsunternehmen sicherlich noch weit. Dennoch gibt es sehr vielversprechende Ansätze und auch eine Reihe bereits sehr vorzeigbarer Praxisbeispiele, die zeigen, dass es schon heute möglich ist, Nachhaltigkeitsinitiativen im Handel mit digitalen Lösungen zu unterstützen. Zum einen kann der Einsatz von Cloud-Technologie helfen, die CO2-Bilanz zu verbessern, zum anderen bieten zahlreiche digitale Lösungen für die wichtigsten Handlungsfelder die unterschiedlichsten Möglichkeiten, Nachhaltigkeitsziele zu erreichen.

Digitale Preisschilder in einem Regal; copyright: SES-imagotag/Colruyt

Filialen: Colruyt setzt in 290 Filialen die elektronischen Preisschilder von SES-imagotag ein. Dadurch werden 75 Millionen papier-basierte Preisschilder ersetzt. Klarer Vorteil: Neben gesteigerter Prozesseffizienz werden so 90 Tonnen Papier pro Jahr eingespart. // © Colruyt / SES-imagotag

Im Whitepaper schreiben Sie: Digitalisierung und Nachhaltigkeit müssen kein Widerspruch sein. Wie lassen sich diese beiden Dinge für Sie miteinander vereinbaren, ist Digitalisierung sogar wichtig, um nachhaltige Ziele zu erreichen?

Beispielsweise unterstützen diese digitalen Lösungen das Sparen von Energie und damit die Minimierung des CO2-Ausstoßes. Dabei kommen digitale Lösungen für Gebäude- und Gerätesteuerung zum Einsatz, wie beispielsweise die Lichtsteuerung und das energieeffiziente Lichtmanagement, Lösungen zur Optimierung der Auslastung der Klima- und Kältetechnik, der Strom- und Wärmeerzeugung sowie deren Nutzung.

Darüber hinaus bieten digitale Lösungen Möglichkeiten, direkt die operativen Prozesse in der Filiale zu optimieren und nachhaltiger zu gestalten: den Abfall zu managen, Schwund durch vorausschauende Überwachung der Kühlgeräte zu vermeiden oder das Sortiment beziehungsweise den Bestand in Filiale und Lager mithilfe von Sensorik zu erfassen und per KI vorausschauend zu optimieren, wodurch Ausschuss und gleichzeitig Out-of- Stocks vermieden werden können.

Recycling-Automat von außen; copyright: H&M

Kunden & Kreislaufwirtschaft: Zur Sammlung und Rückführung von Kleiderspenden nutzt
der Modehändler H&M einen intelligenten Recycling-Behälter mit interaktivem Bildschirm und integrierter Waage. In den USA konnten so 2020 fünf Millionen Pfund – etwa 2,3 Mio. Kilogramm – recycelte Kleidung  gesammelt werden. // © H&M

In welchen Bereichen des Handels kann außerdem noch nachhaltig vorgegangen werden?

Potenziale liegen vor allem in den fünf relevanten Handlungsfeldern Zentrale, Lieferkette & Logistik, Sortimente & Produktion, Filialen, Kunden & Kreislaufwirtschaft. In unserem aktuellen Whitepaper finden sich dazu 29 Kundenreferenzen sowie 17 Microsoft- und Partnerlösungen.

Die ‚Klassiker‘ umfassen Lösungen, die den Stromverbrauch in den Filialen reduzieren, also im Food-Handel vor allem die Optimierung der Kältetechnik durch vorrausschauende Überwachung und im Non-Food-Handel die Optimierung der Beleuchtung und deren Steuerung. Darüber hinaus finden immer mehr Elektronische Preisschilder Einsatz in allen Handelssparten, weil sie – neben dem positiven Effekt auf die Nachhaltigkeitsbilanz durch Ablösung der gedruckten Preisschilder – auch zahlreiche operative Anwendungsfälle in den Filialen optimieren.

Innovative Lösungen bieten weitreichende Optimierungspotentiale, die zumeist positive Auswirkungen auf die Nachhaltigkeit und wesentliche Aspekte in Geschäftsprozessen haben. So bietet die Lösung zur virtuellen Anprobe ‚Reactive Reality – PictoFit‘ per persönlichem Avatar auf dem Smartphone eine Möglichkeit zur Personalisierung sowie Kundenbindung und reduziert gleichzeitig die Retourenquote, da die Artikel mit entsprechender Passform und Größentabelle virtuell anprobiert werden und Tipps zur bestpassenden Größe gegeben werden.“

Frau steht vor Laptop und tippt; copyright: Microsoft

Zentrale: IKEA setzt für seine 166.000 Mitarbeitenden auf Microsoft 365 Teams – digitale Zusammenarbeit ersetzt hier papierbasierte Prozesse und reduziert Reisen. // ©Microsoft

Warum und wie engagiert sich Microsoft für Nachhaltigkeit im Handel?

Als international tätiges Technologieunternehmen ist Microsoft sich seiner Verantwortung im Bereich der Nachhaltigkeit bewusst. Der Schutz unserer Erde ist die Grundvoraussetzung für unsere Mission, jede Person und jede Organisation auf dem Planeten zu befähigen, mehr zu erreichen. Schon im Jahr 2009 gab Microsoft das erste Nachhaltigkeitsziel zur Reduktion des CO2-Ausstoßes bekannt. Während der letzten zehn Jahre wurden die unternehmensweiten Nachhaltigkeitsziele kontinuierlich erweitert. Mittlerweile unternimmt Microsoft gemeinsam mit Partnern, Forschenden und NGOs weltweit große Anstrengungen für mehr Nachhaltigkeit, die auf die vier Bereiche CO2-Emissionen, Abfall, Wasser und Biodiversität fokussiert sind. Zu unseren Zielsetzungen, die selbstverständlich auch den Bereich Handel umfassen, gehört es u.a., mit Microsoft bis 2030 CO2-negativ, abfallneutral und Wasser-positiv zu sein.

Lieferkette & Logistik: Intermarché behält Qualität und Rückverfolgbarkeit ihrer Produkte mit Transparency One im Blick: Echtzeit-Lieferkettendaten, Identifizierung der  Produktherkunft und Reduzierung weiterer Risiken. So werden Nachhaltigkeitskriterien eingehalten. // © Screenshot Youtube/ SGS Transparency One)

Welche Trends zu diesem Thema sind für Sie zukunftsweisend?

Für eine optimale Energieeffizienz wäre es sinnvoll, die digitalen Lösungen einer Filiale in der Cloud zu betreiben. Schließlich können Hyperscale Cloud Rechenzentren deutlich mehr Rechenleistung pro Energieeinheit erbringen als On-Premise-Rechenzentren. Das Problem bei der Sache: Aufgrund der beschränkten Bandbreite in vielen Filialen ist eine flächendeckende Nutzung von digitalen Cloud-Lösungen häufig nicht möglich. Gerade bei rechenintensiven Lösungen, wie der Verarbeitung von Sensorik-Daten, IoT und deren Auswertung beziehungsweise. Prognosen mit KI erfordern bei viele digitale Lösungen eine Verbindung in die Cloud. In diesen Fällen wäre die Filialbandbreite sehr schnell ausgelastet. Zur Lösung dieses Problems kommt Cloud Edge-Computing-Technologie zur Anwendung. Dabei werden erzeugte Daten nahe beim Sensor auf einem dafür vorgesehenen Gerät (auch ‚Appliance‘) aggregiert und verarbeitet. Die Prognosefähigkeit über KI wird dabei auf das Gerät übertragen und voreingestellt, damit sie auch ohne Verbindung zur Cloud zur Verfügung steht. Das bedeutet, dass die Verbindung zur Cloud nur für das initiale Anlernen der KI und bei etwaigen Änderungen notwendig ist, was den Bedarf an Bandbreite deutlich reduziert.

Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass, auch begünstigt durch politische Rahmenbedingungen, die Bedeutung der technologiegestützten Steuerung des Energiemanagements im Handel in den kommenden Jahren weiter zunehmen wird. Gleichzeitig werden sich Technologien auch gerade im Umfeld der künstlichen Intelligenz rapide weiterentwickeln, so dass der ‚Sustainable Smart Store‘ in Zukunft mehr und mehr Realität werden dürfte.

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