28. Juli 2022 | Interview, Leading Voices, Retail Technology, Visions of Retail

Potenziale intelligenter und automatisierter Beschaffungslösungen für den Handel

Ja, nein, vielleicht? Können Sie sich bei Warenbestellungen auch nicht immer ganz entscheiden und fragen sich, ob nicht eine Liefer-Alternative die bessere Wahl wäre? Hilfe können intelligente und automatisierte Beschaffungslösungen wie die von JAGGEAR liefern. Doch sind sie wirklich die Zukunft?

Im Interview erklärt Michael Quack, Senior Business Solutions Architect bei JAGGAER, Probleme und Perspektiven der Handelsbranche sowie Potenziale moderner Software fürs Filialmanagement.

Mann im Anzug mit kurzen, dunklen Haaren - Michael Quack; Copyright: JAGGAER

Michael Quack // © JAGGAER

Herr Quack, warum sollte die Retail-Branche auf KI und Automatisierung setzen, wenn es um die Prozessoptimierung geht?

Michael Quack: Kaum ein Unternehmen kann heute erfolgreich sein, ohne Themen wie Automatisierung und künstliche Intelligenz mitzudenken. Schließlich sind manuelle Prozesse nicht nur fehleranfällig, sondern binden zudem wertvolle personelle Ressourcen. Insbesondere durch die immer komplexer werdenden Rahmenbedingungen bei gleichzeitig steigenden Kundenanforderungen muss mithilfe der richtigen Softwarelösungen Abhilfe geschaffen werden.

Im Retail-Bereich wird die Beschaffung von Waren zwar schon oft sehr gut über zentrale Prozesse gesteuert. Der Fokus liegt dabei jedoch meist auf Preisverhandlungen und weniger auf strategischem Warengruppen- und Lieferantenmanagement. Diesen Bereich kann eine fortschrittliche Einkaufslösung abdecken, die beispielsweise durch KI-gestützte Vorschläge geeigneter Lieferanten dabei hilft, die Vorgänge zu automatisieren und gleichzeitig Personal für andere Aufgaben freihält.

Nicht zu vergessen ist auch die Beschaffung von Produkten zur Ladenausstattung oder von Hilfsmitteln, bei der die Prozessabwicklung oft nur wenig automatisiert erfolgt. Wenn keine moderne Einkaufsplattform zum Einsatz kommt, entsteht dadurch ein zusätzlicher manueller Aufwand in der Filiale.

Was wird im Hinblick auf Supply-Chain-Management immer wichtiger?

In aktuellen Zeiten ist es wichtiger denn je, dass Unternehmen – nicht nur, aber vor allem im Groß- und Einzelhandel – ihre Lieferketten kritisch hinterfragen. Gerade im Hinblick auf die durch Corona und den Krieg andauernden Lieferproblematiken dürfen sie sich Risiken und Störungen nicht erst bewusst werden, wenn der Schadensfall bereits eingetreten ist, sondern müssen in der Lage sein, sie frühzeitig zu identifizieren und ihnen proaktiv entgegensteuern.

Grundvoraussetzung dafür ist Transparenz innerhalb des Prozessmanagements, damit die Händler und Händlerinnen im Bedarfsfall schnell und vor allem zielgerichtet reagieren können.

Doch auch abseits von Krisensituationen spielen der Transparenzaspekt und die Risikoanalyse eine immer wichtigere Rolle im Supply-Chain-Management. Auch in Bezug auf das zentrale Thema Nachhaltigkeit. Denn spätestens seit der Verabschiedung des neuen Lieferkettengesetzes können sich Unternehmen nicht mehr auf unkontrollierbare, mehrstufige Beschaffungsketten berufen, sondern tragen vielmehr die Verantwortung für die Einhaltung grundlegender Menschenrechts- und Umweltschutzpflichten. Da ist ein transparenter Blick auf die einzelnen Glieder der Supply Chain unabdingbar.

Wie unterstützt Ihre Lösung Retailer und ihr Supply-Chain- sowie Filialmanagement?

Laptop mit JAGGAER Supply Chain Risk software auf einem Tisch; Copyright: JAGGAER

© JAGGAER

JAGGAER ONE bietet den Retailern ein umfassendes Lieferantenmanagement, das neben rein kommerziellen Kriterien, wie dem Preisniveau, auch ESG-Komponenten (Environmental Social Governance) berücksichtigt und durch eine fortlaufende Risikoanalyse sicherstellt, dass jegliche Gefährdungspotenziale frühzeitig erkannt werden.

So führt die Software Informationen aus sämtlichen Datenquellen zu einer 360°-Ansicht zusammen, die das Bewerten von Risiken und Schadensausmaßen deutlich erleichtert und somit nicht nur schnellere Reaktionen, sondern auch das Ergreifen von Präventivmaßnahmen möglich macht.

Des Weiteren fungieren die Ergebnisse der Risiko- und Nachhaltigkeitsbewertungen als wichtige Kriterien bei der Lieferantenauswahl und werden im Rahmen sogenannter TCO-Berechnungen (Total Cost of Ownership) automatisch aus den Lieferantenprofilen quantifiziert und in die Vergabeentscheidungen miteinbezogen. Auch bei der Auswahl geeigneter Lieferanten durch ein globales Netzwerk, dem inzwischen über fünf Millionen Anbieter angehören, gibt es Hilfe.

Das birgt den Vorteil, dass sie sich nicht länger auf die Lieferfähigkeit eines Einzelnen verlassen müssen, sondern mithilfe einer Multisourcing-Strategie so vorausschauend planen können, dass auch bei Ausfall eines Lieferanten keine Out-of-Stocks riskiert werden.

Der Einsatz im Handelsalltag: Wie kann ich mir das vorstellen?

Von der Bedarfsermittlung, über die automatische Erstellung einer Lieferantenausschreibung bis hin zu Preisabfragen und Vergabevorschlägen unter Berücksichtigung der zuvor beschriebenen Risiko- und Transparenzkriterien – all das kann mithilfe der Software bearbeitet werden. Auch die Folgeprozesse können im Anschluss nahtlos digital angestoßen werden, was unter anderem die Verhandlung, Erstellung und digitale Unterzeichnung der Verträge sowie handelstypische Vorgänge wie den Listungsprozess für neue Artikel oder Musterkontrollen umfasst, die über die integrierte Workflow Engine flexibel konfiguriert werden können. Weiterhin lässt sich auch die Nachbestellung von indirekten Bedarfen automatisieren, die bis dato in vielen Filialen noch auf manuellen Prozessen basiert. Unsere eProcurement-Lösung bietet hierzu einen Katalog-basierten Ansatz, über den die Ware genauso einfach bestellt werden kann, wie die Einkaufsentscheider und -Entscheiderinnen es auch aus ihrem privaten Umfeld beim Onlineshopping gewohnt sind.

 Wie kann die Kundschaft von ihr profitieren?

Um der Kundschaft ein optimales Einkaufserlebnis zu bieten, ist es essenziell, dass die Prozesse im Hintergrund – und damit auch im Bereich Supply Chain – reibungslos funktionieren. Erst dann ist es den Händlern und Händlerinnen möglich, die Erwartungen, mit denen die Kundschaft das Geschäft betritt, zuverlässig zu erfüllen und ihnen während des Einkaufs einen Mehrwert zu vermitteln. Wird in die Automatisierung von Beschaffungsprozessen investiert, lässt sich auf Unternehmensseite sowohl die Kosten- als auch die Zeiteffizienz erhöhen, da durch die freiwerdenden Kapazitäten mehr Personal für strategische Aufgaben und Entscheidungen – wie beispielsweise die Entwicklung einer Multi-Sourcing-Strategie – zur Verfügung steht. Der Kunden-Vorteil: Sie stehen nicht vor leeren Regalen, da der Retailer etwaige Lieferengpässe frühzeitig erkennen und durch die Beauftragung anderer Lieferanten kurzfristig ausgleichen kann.

Ein weiterer wichtiger Punkt ist auch hier das Thema Nachhaltigkeit. Schließlich machen immer mehr Menschen ihre Kaufentscheidung davon abhängig, ob ein Unternehmen ökologisch und sozial verantwortlich agiert. Durch die Berücksichtigung der ESG-Kriterien innerhalb des Lieferantenmanagements lässt sich die Nachhaltigkeit in der Beschaffung um einiges vorantreiben und damit dem Wunsch der Kundschaft nach mehr Transparenz, Fairness und ökologischer Verantwortung ein großes Stück entgegenkommen.

 Was muss ein Retailer mitbringen, um sie nutzen zu können?

Eine Beschaffungslösung wie unsere kann nicht alle Bereiche und Prozesse im Handel abdecken, sondern immer nur bestehende Systeme – wie Finanz- und Planungssoftwares oder Artikelstammdatensysteme – ergänzen. Daher ist das Vorhandensein einer gewissen IT-Infrastruktur Grundvoraussetzung, um die Einkaufssuite optimal anbinden und nutzen zu können.

Zusätzlich muss bei den Retailern die Bereitschaft vorhanden sein, gewohnte Prozesse und Vorgehensweisen kritisch zu hinterfragen. Statt jede neue Lieferantenausschreibung oder Preisanfrage hochgradig individuell zu gestalten, muss das Ziel in der Vereinfachung dieser Abläufe liegen – sonst lassen sich die Vorteile einer Sourcing-Lösung selten optimal nutzen. Im Fokus muss daher immer die Standardisierung und Wiederholbarkeit von Vorgängen stehen, erst dann können lernende Systeme und Automatisierungstechnologien bestmögliche Unterstützung leisten.

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